Christoph Schreiber - Im Nebel wühlen
Nicht Wiedergabe, sondern Konstruktion beziehungsweise Erfindung von
Wirklichkeit ist das Anliegen von Christoph Schreiber. Der Verzicht auf
Personen, das Einmitten der Motive und die zurückhaltenden Farbtöne
verbindet den Künstler durchaus mit der dokumentarischen Fotografie,
insbesondere jener, die die Ansprüche wissenschaftlicher Bestandes-
aufnahmen reflektiert. Mit seinen zum Teil rigorosen gestalterischen Ein-
griffen und seinem Interesse für das Skurrile hebt er sich aber von diesen
Fotografen ab und bekennt seine Affinität zu den Malern der deutschen
Romantik. Seine Bilder laden zur Reflexion ein und belegen das Eigen-
tümliche als Norm.
„Meine Arbeiten sind näher bei der Malerei als bei der klassischen Foto-
grafie - vom Denken her auf jeden Fall.“ Schreibers Arbeiten lösen sich
vom dokumentarischen Anspruch der Fotografie. Sie sollen nicht Urkunde
sein und auf etwas verweisen, das gewesen ist. Der Künstler nutzt die
Möglichkeiten der digitalen Bildbearbeitung, um ein Motiv in jenen Zustand
zu überführen, den er potentiell in diesem angelegt sieht. Als Fotograf er-
langt er die gestalterische Freiheit eines Malers und mit diesem teilt er auch
den Aufwand, der die Herstellung eines Bildes erfordert. So erlangt ein Bild
seine gültige Form oft nach mehrmonatiger Arbeit am Computer.
Eine vorgefundene Baumgruppe in einem ausgelassenen See ergänzte
Schreiber einzig mit leicht aufsteigendem Nebel. Komplexer ist eine an den
Rheinfall erinnernde Komposition, deren Elemente verschiedenen Bildquellen
entnommen sind und in symmetrische Anordnung gebracht wurden. In einem
Bild überschreitet Schreiber schliesslich die Grenzen dessen, was noch im
Bereich des faktisch Möglichen liegt. Aus fotografischem Material, das er in
Berlin gesammelt hatte, konstruierte er eine massive Bergkette und an deren
Fuss impliziert er mit leuchtenden Strassenlaternen ein Dorf in Abendstimmung.
Was generell als Problematik der digitalen Bildmanipulation hervorgehoben
wird, nutzt Schreiber zu seinem Vorteil. Wird ein Bild aus diversen Quellen
zusammengesetzt, so versucht er nicht, unterschiedliche Grössen- und Licht-
verhältnisse aufzuheben. Diese Unstimmigkeiten wie auch der Einsatz ver-
schiedener Perspektiven können, insofern die Abweichungen nicht allzu gross
sind, seine von Seltsamkeit bestimmten Situationen verstärken.
Ruth Littman, Text zur Ausstellung in der Galerie Bob Gysin, 2003