Zu den Arbeiten von Christoph Schreiber
Die fotografischen Arbeiten von Christoph Schreiber tragen keine Titel.
Nur Jahr und Reihenfolge ihrer Entstehung sind mit einer Serienummer
definiert. Durch dieses einfache Katalogisierungssystem stehen die Bilder
in einem zeitlichen Kontinuum, das zur räumlichen und inhaltlichen Kohärenz
seines Werkes hinzukommt. Dem entspricht auch Schreibers Arbeitsweise,
die ähnlich strukturiert ist. Zuerst bewegt er sich in der Aussenwelt, wo er
mit seiner Kamera Sujets sucht und fotografiert. In einer zweiten Phase
(Atelierarbeit) werden diese Fotos mittels digitaler Techniken zusammen-
montiert und weiterbearbeitet, bis ein neues Bild – das in sich geschlossen
und stimmig ist – entsteht. Wenn Bilder Personen wären, könnte man sagen,
dass durch dieses Verfahren gleichzeitig die Einmaligkeit eines Bildes als
Individuum gewährleistet wird, als auch seine Einbettung als Mitglied einer
Gesellschaft konstruiert wird.
Christoph Schreiber schafft eine künstliche Welt, welche sich an räumlichen
und emotionalen Eindrücken orientiert, die menschliche Bauten und ihre
Kontextualisierung in der Umwelt verursachen. Es wird eine Nähe konstruiert,
die doch so fremd bleibt und irgendwo zwischen Realität und Traum angesiedelt
ist. Eine Welt, die sich zwischen den Archetypen unseres gegenwärtigen
Bildergedächtnisses und den Befürchtungen dystopischer Visionen der Zukunft
bewegt.
Es wurde schon mehrmals unterstrichen, dass die Arbeiten von Christoph
Schreiber näher bei der Malerei als bei der klassischen Fotografie stehen.
Der Künstler hat in der Tat keine dokumentarischen Ansprüche. Die Eigen-
schaften des Mediums, die durch die digitale Bildmanipulation enorm erweitert
worden sind, werden selbst zum Thema. In diesem Sinne artikuliert der Künstler
in seiner Arbeit auch einen Kommentar über das Medium selbst. Ein Meta-
Diskurs, welcher schon seit Jahrzehnten eine zentrale Thematik der Malerei ist.
Diesen Gedanken im Kopf, lässt sich der Vergleich auch kunsthistorisch weiter-
ziehen: Schreibers Bilder beinhalten die architektonischen Inkongruenzen und
perspektivischen Spiele der vedute ideateder italienischen Malerei des 17. Jahr-
hunderts sowie die emotionale Wirkung der romantischen Landschaftsmalerei
als Spiegelbild psychologischer Zustände. Dieser formalen und inhaltlichen
Tradition fügt Schreiber mit einem zeitgenössischen Medium die gegenwärtige
Hinterfragung des Bildes als Darstellung der Wirklichkeit hinzu.
Die neusten Werke des Künstlers führen eine kontinuierliche Entwicklung weiter.
Schreibers Bildsprache wird aber – wenn immer möglich – noch schärfer und
präziser. Die extreme Sorgfalt der Komposition wird von einer zumeist reduzierten
Farbpalette begleitet und eine leise Ironie untermalt und hinterfragt das bisweilen
Gigantische der dargestellten Sujets. Menschliche Figuren erscheinen selten auf
den Bildern. Wenn doch, unterstreichen sie ein eigenartiges Gefühl von Verloren-
heit und Fülle zugleich. Diese Figuren bringen uns die Bilder näher, lassen sie
noch realistischer erscheinen und betonen ihre unheimliche räumliche Kraft. Die
tiefe der Perspektiven und der Horizonte, die fassbare Repräsentation der
Materialien und die nicht nachvollziehbare Funktion der Strukturen fordern die
Betrachter zu einer gründlichen Auseinandersetzung mit den Bildern heraus.
Und das Spiel der Deutung beginnt. Eine Deutung, die Schreiber bewusst und
meisterlich offen lässt.
Giovanni Carmine, Text zur Ausstellung in der Galerie Friedrich, 2004